FRANZ POLLHEIMER:

 

WIE WIR IN WIEN DAS STERNSINGEN EINFÜHRTEN

 

Zu Weihnachten 1946 hatten unsere beiden Buben—der 7jährige Winfried und der 5jährige Franzi—mit etlichen bescheidenen Spielsachen auch weiße, lange Nachthemdlein vom Christkind bekommen. Einige Tage nach dem heiligen Abend wollte Winfried sein Nachthemd als ein Unterkleid für ein Königskostüm verwenden und er erbat sich daher von Mutti einen färbigen Königsmantel dazu.

 

Aus einem Fahnentuch verfertigte Mutti wirklich einen weitfaltigen, passenden Mantel und versah den Saum mit alten Goldborten, die wir mit dem roten Fahnentuch von einer Tante aus der Steiermark erhalten hatten. Eine bunte Schärpe um die Mitte sowie eine vom Buben selbst verfertigte goldene Papierkrone vervollständigten den kindlichen Königsornat.

 

Beide Buben wollten nämlich ein Märchen spielen. Der Hang zum Theaterspielen hat sich bei Winfried schon sehr zeitlich als Kind kundgetan. Franzi aber, der in nichts und nie seinem älteren Bruder in seiner königlichen Herrlichkeit nachstehen wollte, erbat sich von Mutti als "Prinz" das gleiche Kleid und selbstverständlich auch eine Krone.

 

Und als nun die beiden kleinen Könige einmal in ihren dekorativen Königsgewändern so malerisch in einer Wohnzimmerecke plaudernd beieinanderstanden und wir sie schmunzelnd betrachteten, sagte meine Frau so ganz zufällig und nebenbei zu mir: "Wenn wir nun einen dritten Buben hätten, könnten sie miteinander sternsingen gehen." Hiemit war das entscheidende Wort—sternsingen—erstmalig bei uns gefallen!

 

Der Gedanke ging uns nimmer aus dem Kopf und wir wandten uns wegen eines "dritten" Buben an die uns gut bekannte Tischlermeistersgattin Frau Hinterwirt in der Zeltgasse, die einen mit unserem Winfried gleichaltrigen Buben hatte, mit der Bitte, ihren Bernhard für ein häusliches Sternsingen zur Verfügung zu stellen. Frau Hinterwirt war sogleich mit Begeisterung einverstanden.

 

Ich selbst kannte das Sternsingen wohl von meiner Kinderzeit her aus meiner Obersteirischen Heimat, aber die beiden Mütter, die in Wien aufgewachsen waren, kannten diesen weihnachtlichen Volksbrauch der Alpenländer nur vom Hörensagen und Erzählen.

 

Für den kleinen Bernhard wurde rasch ein gleiches Königsgewand von den Müttern hergestellt.

 

Zweck dieses Sternsingens sollte sein, unsere Kinder mit diesem alten, schönen Volksbrauch auch praktisch bekannt zu machen.

 

Wir haben ja im Kreise unserer Familie in Wien auch andere Volksbräuche im Jahresverlauf unserer Kinder wegen gepflegt. An eine Einführung des Sternsingens in Wien hatte damals niemand im entferntesten gedacht oder denken können, zumal man ja gar nicht ahnen konnte, daß so etwas überhaupt in der Großstadt möglich wäre.

 

Mit einem heiligen Eifer und mit einer freudigen Begeisterung wurden bei uns die weiteren Vorbereitungen getroffen. Mutti bastelte einen sehr schönen goldenen Stern mit langen, herabflatternden Goldbändern an einem langen Stab und ich suchte in Volksgesangbüchern nach einem Dreikönigslied und in alten Reimmichelkalendern nach einem Sternsingerwunschspruch. Den gefundenen Spruch mußte ich kürzen, weil Wünsche betreffend die Gesundheit des Viehes im Stall für Wien doch nicht geeignet waren.

 

Zuerst wurden von den frisch gebackenen Sternsingern die Wohnungsnachbarn aufgesucht. Der überaus herzliche und freudige Empfang bei den Nachbarn ermunterte uns, auch zu den anderen Hausparteien zu gehen und da auch hier wieder die gleiche freudige Überraschung sich wiederholte, wagten wir uns sogar auf die Straße, um Bekannte und Freunde in nahen Gassen der Josefstadt zu besuchen.

 

Die kleinen Sternsinger waren also "Freudenbringer“! Natürlich wurden die Buben auf der Straße vorsichtshalber von den Müttern begleitet, und zwar in einiger Entfernung, weil es die "Könige" so wünschten.

 

 

 

 

 

Als wir nun auf den Straßen bei den Passanten die große freudige Überraschung über das Erscheinen der Sternsinger sahen, dachten wir schon daran, den lieben alten Brauch nicht nur im kleinen Familienkreis zu behalten, sondern ihn auch darüber hinaus den Wienern in unserem Wohnbezirk zu zeigen. Freudigste Bemerkungen aller Art waren zu hören: "Jessas, Sternsinger san da!" oder "San des liabe Könige!" oder "San des nur Buam, oder is a Madl a dabei?" Besonders für die älteren Leute waren die Sternsinger in den Straßen eine liebe Erinnerung aus ihrer Jugendzeit. Eine alte Frau blieb mit Tränen in den Augen stehen und sagte: "Ich danke euch für diesen wunderbaren Gruß aus meiner Kinderzeit in meinen heimatlichen Bergen!" Ein noch nicht alter Grießgram meinte wohl kopfschüttelnd: "Und so was in unserer modernen Zeit, im zwanzigsten Jahrhundert!"

 

Aber eine solche vereinzelte, ablehnende Bemerkung konnte uns von unserem Vorhaben nicht mehr abbringen.

 

Es war ja auch ein stimmungsvolles Bild, wenn in diesen winterlich dämmernden Tagen zu Dreikönig die kleine malerische Sternsingergruppe mit ihrem goldenen Stern im leichten Schneeflockentreiben in den Straßen des Bezirkes dahinwanderte und immer wieder von Passanten und Kindern umringt war und oft lange begleitet wurde.

 

Hofrat Univ. Prof. Dr. Viktor v. Geramb in Graz, der unvergeßliche getreue Eckart von Volks- und Brauchtum in Österreich, dem wir davon berichteten, schrieb uns in einem seiner Briefe darüber:

 

.. . dies ist für Wien ein gutes Zeichen, daß es seine Seele doch noch nicht ganz verloren und verkauft hat! In jeder Großstadt würde das nicht so gelingen!"

 

 

 

 

 

Im Jahre 1949 mußten wir das Sternsingen unterlassen, weil unsere Mutti im Krankenhaus lag, sie brachte uns allerdings gerade am Dreikönigsfeste 1949 unseren dritten Buben — den Klaus — ins Haus. Auf die einjährige Unterbrechung im Sternsingen langten aber zu Neujahr 1950 bei uns immer wieder Anfragen ein, ob wir wohl wieder sternsingen gehen würden? Wir mußten uns nun um andere Kostüme umsehen, da die alten schon zu klein geworden waren und auch eine kostümliche Abwechslung schon fällig war. Außerdem wollten wir zu den drei Königen auch einen eigenen Sternträger dazunehmen.

 

Die hochw. Herren Patres Piaristen in "Maria Treu" gestatteten uns liebenswürdigerweise, daß wir aus dem Kostümfundus ihres Jugendtheaters nach Belieben Kleidungsstücke entlehnen und für unsere Zwecke zurecht­richten durften. Auch ein altes Rauchfaß und ein Weihrauchschifferl bekamen wir aus ihrer Sakristei ausgefolgt. Aus dem nahen Josefstädtertheater lieh uns der Requisitenmeister Turbane und Seidenschals. Von einem Mädchen­pensionat des dritten Bezirkes konnten wir für einmal ein besonders schönes Königskostüm entlehnen.

 

Hochw. Pater Thaler hat für den Vorabend des Dreikönigsfestes sogar eine kirchliche Abendfeier mit Weihnachtsliedern und Lesungen aus der heili­gen Schrift zusammengestellt, bei der unsere Sternsinger in der Kirche mit­wirken durften und welche auch jetzt noch am 5. Jänner jeden Jahres abgehalten wird. Herr Lehrer Smejkal von der Piaristenschule lehrte den Buben neue Dreikönigslieder ein, die uns der bekannte Wiener Volksliederforscher Prof. Zoder auf unsere Bitte übermittelt hatte.

 

Hochw. Rektor Josef Franzl machte mit den Buben die ersten Rundfunk­übertragungen im Sender "Rot-Weiß-Rot". Die Buben fühlten sich natürlich sehr geschmeichelt, weil ihre Stimmen auch im Äther zu hören waren.

 

Die Vorbereitungen für das Sternsingen haben wohl immer viel Zeit, Arbeit und Mühen—besonders für unsere Mutti wegen der Kostüme—und manchen Ärger gekostet, aber es gab doch mehr köstliche, heitere, beglückende und erhebende Erlebnisse und Episoden, die für alle Unannehmlichkeiten reichlich entschädigten. Zeitungen und Zeitschriften brachten Notizen und Bildberichte und auch die Wochenschauen schalteten sich mit Aufnahmen ein.

 

Natürlich wurden die Sternsinger auf ihren Wegen unzählige Male photo­graphiert. Photos aus der damaligen Zeit erscheinen auch jetzt noch zur Sternsingerzeit immer wieder in den Zeitungen. Eines der Pressephotos unserer Sternsinger mit Kardinal Innitzer im erzbischöflichen Palais nahm sogar den Weg nach London in die Welt-Presse-Zentrale und kam von dort in die illustrierten Blätter der ganzen Welt.

 

Wir waren mittlerweile über die Josefstadt hinaus in Nachbarbezirke, auf die Mariahilferstraße und zum Stefansplatz hineingezogen. Von den "Josefstädter Sternsingern" oder "die Sternsinger von Maria Treu" ist auch der Zug am Dreikönigstag Vormittag von der Oper weg durch die Kärntnerstraße zum Stefansdom eingeführt worden. 

 

Vor dem Riesentor des Domes sangen sie nach dem Pontifikalhochamt inmitten einer großen Menschenmenge dem Herrn Kardinal Innitzer ihre Drei­königslieder vor und sprachen ihren Sternsingerwunsch. Der Kardinal lud sie dann ein, mit ihm und seiner Begleitung ins erzbischöfliche Palais einzuziehen. Im Jahre 1954 waren bei diesem Sternsingerzug am Stefansplatz nach polizei­licher Schätzung 7.000 Zuschauer anwesend, darunter natürlich sehr viele Kinder.

 

Mit vier Jahren ging dann unser Klaus auch schon als kleiner Herold mit der Gruppe, und der kleine Knirps war dann natürlich das Entzücken der Kinder und Frauen. Wenn vier oder fünf Sternsinger auftraten, hörte man öfter die schelmische Bemerkung aus der Menge: "Das sind Ja vier oder fünf heilige Drei Könige!"

 

In den weiteren Jahren wurden von den Josefstädter Sternsingern oder den Sternsingern von Maria Treu — wie die Gruppe in Wien schon allgemein bezeichnet wurde—auch hohe Persönlichkeiten des Staates wie der Bundes­präsident, der Bundeskanzler, der Nationalratspräsident und die Minister für Unterricht und Landwirtschaft aufgesucht. Den Patienten der Krankenanstalt "Confraternität" sangen sie jedes Jahr ihre Lieder vor.

 

Die erhaltenen Geldspenden gaben die Buben drei Jahre hindurch für den Wiederaufbau des Stefansdomes, ebenfalls drei Jahre lange überreichten sie dieselben der Pfarre von Maria Treu für die Außen‑ und Innenrenovierung der Basilika, einmal wurde eine bedürftige Flüchtlingsfamilie beschenkt und die Spenden folgender Jahre flossen den Missionen zu.

 

Als unsere Sternsingergruppe erstmalig beim Singen in der Domsakristei vor Kardinal König vom Fernsehen aufgenommen wurde, erreichte uns kurz darauf ein Brief von den Sternsingern der Stadt Laupheim in Württemberg mit der Bitte, ihnen unsere Dreikönigslieder und den Sternsingerwunsch zur Verfügung zu stellen, um beides auch beim Sternsingen in ihrer Heimatstadt vortragen zu können.

 

Um 1952 und 1953 begannen auch andere Pfarreien von Wien, das Stern­singen mit Ministranten oder Pfadfindern im Pfarrbereich einzuführen. Mit größerem Personen‑ und Kostümaufwand führten es die Pfadfinder von Maria­hilf und Sängerknaben der Karlskirche zwei Male sehr schön und würdig durch.

 

Als unsere eigenen Buben wegen des Stimmwechsels nacheinander vom Sternsingen ausscheiden mußten, gab es immer wieder sofort Nachwuchs aus der Maria Treuer Ministrantenschar oder von Knaben aus der Josefstadt.

 

Herr Lehrer Smejkal von der Paristenschule führte das begonnene Werk getreulich fort und erweiterte es auf drei Gruppen. Seine drei Singgruppen konnten in den letzten Jahren einige Male die finanziellen Spitzenleistungen im Sammelergebnis nicht nur der Stadt Wien, sondern der ganzen Diözese Wien erreichen.

 

Durch Zeitungsberichte mit Bildern, durch Radiosendungen und Wochen­schauen von unserem Sternsingen in Wien aufmerksam geworden, hat die "MIVA" (Missions‑Verkehrs Arbeitsgemeinschaft in Österreich) 1955 den Stern­singerbrauch mit katholischen Jugendgruppen in den Dienst der Missionen gestellt. Ein Jahr später haben dann die kirchlichen Jungscharen in Österreich den Brauch von der "MIVA" übernommen und für Geldsammlungen für die Missionen im Großen organisiert und ausgebaut. Der Geschäftsführer der "MIVA", Herr Kumpfmüller, schreibt uns noch 1959 in einem seiner Briefe darüber:

 

Ja, es stimmt schon, daß Sie und Ihre Gruppe von Maria Treu doch die ersten waren, die in Wien den Sternsingerbrauch eingeführt haben! Zumindest in dieser würdigen Form, wie er in ganz Österreich nun gepflegt wird. Wir haben Ihnen schon einmal geschrieben, daß gerade eben durch Ihr Unternehmen uns der Gedanke kam, die ganze Sache auf eine breite Basis zu stellen. Wir haben das nie bestritten, sondern im Gegenteil immer wieder bei Besprechungen, wo es um die Frage ging, wie es zu dieser Sternsinger-Aktion kam, auch diese Tatsache erwähnt.

 

Niemals hätten wir es auch nur im Traume zu erwarten gehofft, daß so ein alter Volksbrauch eine so überraschend herzliche und freudige Aufnahme in der Großstadt finden würde! Darüber war der in diesem Bericht bereits genannte berühmte Volkskundler Prof. Geramb aus Graz selbst sehr erstaunt und hocherfreut, was er in einem seiner Briefe an uns zum Ausdruck brachte:

 

. .. Nun, die Hauptsache ist, daß der liebe Brauch Gefallen und Nach­ahmung finden. Sie haben ihn in Wien der Gegenwart die Bahn gebrochen und das bleibt Ihr unbezweifeltes, großes Verdienst, für das Ihnen die gesamte österreichische Volkstums‑ und Heimatpflege nicht genug danken kann!

 

Ich beglückwünsche Sie und Ihre Lieben, besonders die Kinder, sehr zu dieser kulturellen und religiösen guten Tat und sage Ihnen auch im Namen der Heimatpflege inständigen Dank und bitte Sie: lassen Sie die Schönheit nicht abreißen!

 

Als Abschluß dieser Aufzeichnungen möchte ich unseren Sternsingerwunsch, der mir einmal vor Jahren auf der Suche nach einem neuen Wunschspruch in einer guten Stunde selber eingefallen ist und der in der württembergischen Stadt Laupheim und in Wien von Sternsingern den Leuten nach den Dreikönigsliedern vorgetragen wird, hierher setzen:

 

 

"Das Gotteskind, das holde,

kehr ein in euer Haus

und schütte Glück und Segen

auf eure Häupter aus!

Gesundheit mög's euch geben,

recht viel für's ganze Leben,

bis daß wir alle kommen

glückselig einst zusammen

—in gloria dei patris—

im Himmel oben——Amen!"